
Ich bin nicht sie – Schuldgefühle (20.)
Sie ahnte, was Michael vorhatte, und leider wusste ihr Herz es auch.
„Tu das, bitte, nicht. Zerstöre nicht das Schöne, das du mit mir hast!“ Ihre eigene Stimme kam ihr plötzlich so schwer vor. Ihr Herz wollte schmerzhaft pochen, also senkte sie lieber den Blick und starrte auf das weiße Hemd, das Michael trug und das ... Moment mal. Anna stockte für einen Moment der Atem.
„Du trägst sie immer noch?“ brachte sie mit etwas heiserer Stimme hervor und warf dem Mann einen erstaunten Blick zu. Auf seinem Gesicht spielte ein Lächeln, das sie einst so sehr geliebt hatte.
„Ja, ich habe sie extra anpassen lassen, damit ich sie weiterhin tragen kann.“ Anna spürte, wie sich ihre Lippen zu einem schwachen Lächeln verzogen, das jedoch eher wie ein Grinsen aussah.
„Und du hast mir gesagt, dass du diesen Clownskostüm nicht mehr tragen würdest. Damals, als ich ihn dir zu deinem Geburtstag geschenkt habe, an dem ich noch dabei sein konnte.“
Annas Kopf wurde von Erinnerungen an dieses für sie unangenehme Ereignis überschwemmt, und dazu kamen noch unangenehme Gefühle. Damals hatte Michael sich ihr gegenüber wirklich wie ein totaler Idiot verhalten. Man könnte sagen, dass er sich über ihr Geschenk lustig gemacht hatte, und sie war überzeugt gewesen, dass er sich darüber freuen würde, da sie es selbst genäht hatte.
Ihre Gedanken wurden durch eine sanfte, warme Berührung auf ihrer Wange unterbrochen.
„Ich war ein totaler Idiot, es tut mir leid.“ Auf dem Gesicht des Mannes huschte etwas vorbei, das ganz offensichtlich zeigte, dass er dasselbe dachte wie sie, und seine Worte bestätigten es ihr.
„Mir war wichtiger, was meine Freunde von mir denken und wie sie mich sehen, als das, was ich wollte.“
Er hielt kurz inne und in seinen Augen blitzten so viele Gefühle auf, dass Anna leicht schwindelig wurde. Sie wusste nicht, was sie ihm darauf antworten sollte, also wusste sie es doch, aber sie wusste nicht, wie sie es in Worte fassen sollte. Sie hatte das Gefühl, dass sie damit nur eine Lawine lostreten würde, die sie beide mitreißen würde.
„Gestern dachte ich, du würdest mich rauswerfen, aber du hast es nicht getan.“ Er sah sie an wie ein offenes Buch, und in seinem Gesicht spiegelte sich wieder etwas wider, das Anna nicht genau beschreiben konnte.
„Ich kann es immer noch tun„, sagte sie mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen.
„Aber um ehrlich zu sein, habe ich heute nicht die Kraft dazu“, fuhr sie nach einem leisen Seufzer fort.
„Au, dann muss ich wohl Klartext reden“, sagte er mit leichtem Humor und einem Glitzern in den Augen.
„Ich würde mir so sehr wünschen, dass du ...“
*
Anna machte sich einen Kaffee, sobald Michael hinausgegangen war, um den Anruf zu beantworten, der sie unterbrochen hatte. Als der Mann sich offenbar erneut entschuldigen wollte, musste Anna keine Hellseherin sein, um zu verstehen, dass Michael Gewissensbisse hatte, und wie er sie ansah, waren diese nicht gerade gering.
Während sie nachdachte, trank sie das köstliche Getränk, das ihr immer half, klar zu denken und sich auf die Arbeit zu konzentrieren, aber heute schien der Kaffee seine Wirkung nicht zu entfalten, da ihr Kopf momentan von all dem durcheinander war.
„Soweit ich weiß, kann man sich von Kaffee nicht satt essen„, riss sie eine verärgerte Stimme aus ihren Gedanken, zumindest kam es Anna so vor.
„Ich habe nicht viel Hunger“, schüttelte sie den Kopf und sah Michael an, dessen Gesicht Wut widerspiegelte.
Anna hatte schon fast erwartet, dass er etwas sagen würde, aber nichts. Er schwieg und betrat den Laden mit einem Schritt, den man durchaus als verärgert bezeichnen konnte.
Was war wohl so plötzlich passiert?